Lieber H.D. Walden,
- Leben Tiere oder Menschen glücklicher?
Die Empfindungen Glück und Liebe haben sich im Verlauf der Evolution aus der Brutpflege entwickelt,
d.h., alle Tiere, die Brutpflege betreiben, werden von Hormonen wie etwa Oxytocin in einen Zustand des
Glücks und der Zufriedenheit versetzt, egal ob Maus oder Mensch. Theoretisch können zumindest alle
Säugetiere ein glückliches Leben führen, und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Qualität des
hormonell verursachten Glücksgefühls beim Menschen eine höhere ist als bei Mäusen. - Ihr Buch hat uns sehr amüsiert und es wurde verschlungen. Es gab aber auch nachdenkliche
Passagen. In der Einsamkeit im Wald vermissten Sie die Abwechslung nicht und gewöhnten sich an das
eintönige Leben, später schrieben Sie sinngemäß, es sei auch irgendwie tröstlich zu wissen, dass das
Leben irgendwann auch mal vorbei sei. Nach diesen Wochen in der Natur: Haben Sie sich verändert?
Lehren für sich gezogen? Gibt es eine (Haupt)Message?
Verändert hat sich meine Sicht auf die Tiere, und das begann damit, dass mir eines Tages klar wurde,
dass es Individuen sind. Ich hatte sie bisher immer als die Kohlmeisen gesehen oder die Waschbären.
Aber es sind eben Individuen mit individuellen Lebensgeschichten und speziellen Erfahrungen. Ich glaube,
das Erkennen der Individualität ist der erste Schritt, den man tun muss, um das einzelne Tier zu
respektieren. Eine Herde Rinder kann man ohne moralische Probleme zum Schlachthof führen. Aber wenn
man die einzelnen Tiere kennt, ihnen vielleicht sogar Namen gegeben hat, wird man es vielleicht nicht
übers Herz bringen. - Würde sich jeder typische Stadtmensch ohne vorherigen Bezug zur Natur doch zwangsläufig
irgendwann auf Natur und Tiere einlassen oder muss es ein Schlüsselerlebnis geben? Was war für den
Protagonisten des Buches vielleicht so eins?
Man kann sicherlich ein Leben lang ausschließlich Stadtmensch bleiben und trotzdem ein erfülltes Leben
leben. Es ist für uns ja nicht mehr nötig, die Natur zu kennen oder sich mit Tieren abzugeben, wir
überleben auch in einem Apartment in New York. Ich bin mir also nicht sicher, ob einem etwas fehlt,
wenn man nie ein Naturerlebnis hat. Ich kann nur für mich sprechen: Im Nachhinein gesehen bin ich
sicher, dass mir etwas fehlen würde, wenn ich nicht diese Wochen in der Hütte verbracht hätte. - Wir unterstellen Mal, das Buch ist etwas autobiografisch. Wann kam Ihnen die Idee zu diesem Buch?
Das Buch ist sogar sehr autobiografisch. Ich habe es geschrieben, weil ich gefühlsmäßig völlig in dieser
Welt der Waschbären, Kleiber, Igel und des Waldes drin war. Ich hätte zu dem Zeitpunkt über gar nichts
anderes schreiben können. Es war der seltene und für einen Schriftsteller schöne Fall einer inneren
Notwendigkeit, einen bestimmten Text zu schreiben. - Sie sind schon lange Autor und Schriftsteller. War das für Sie als Kind schon Traumberuf?
Ich wollte eigentlich zuerst ein Mitglied der Beatles werden, nachdem ich als Kind im Schwarzweiss-
Fernseher gesehen hatte, wie die Beatles aus einem Flugzeug ausstiegen. Danach – und das ist wirklich
so geschehen – verblasste dieser Wunsch aus irgendeinem Grund, und nun wollte ich Co-Pilot werden.
Ausdrücklich Co-Pilot. Mir wird gerade bewusst, dass in beiden Fällen die Luftfahrt eine Rolle spielte.
- Wie war Ihr Werdegang? Von der Picke an, also Uni und so oder Quereinsteiger?
Mit 18 war es mir, ganz ehrlich gesagt, eigentlich egal, wo mein Name gedruckt stand, ob in einer Zeitung
oder auf einem Buchcover, Hauptsache dass. In die Zeitung kam man schneller, deshalb arbeitete ich
zuerst als Journalist im Feuilleton und in den Ressorts “Gesellschaft” usw. Ein Publizistik-Studium ist oder
war jedenfalls damals verschwendete Zeit: In diesen Ressorts wurde man gedruckt, wenn der Text gut
war, und sonst eben auch mit Studium nicht. Dasselbe gilt für literarische Texte: Man kann zwar lernen,
wie andere geschrieben haben, aber das eigene Schreiben muss man sich erarbeiten. - Welche Top-Eigenschaft sollte ein Schriftsteller besitzen?
Er muss schreiben wollen, und zwar obsessiv. Alle Kunst ist obsessiv, auch die schlechte. Weil es obsessiv
ist, muss man unbedingt die Fähigkeit der Selbstkritik besitzen. Zusammengefasst: Man sollte nur
Schriftsteller werden, wenn man nicht anders kann und wenn man es schafft, permanent mit der eigenen
Leistung unzufrieden zu sein, und zwar nicht als Attitüde sondern wirklich und wahrhaftig unzufrieden. - Letzte Frage: Denken Sie noch manchmal an Schupp den Waschbären? Vielen lieben Dank für das
Interview!
Ja, ich denke sehr oft an sie – es war übrigens ein Weibchen. Ich werde nie vergessen, wie sie eines
Nachts ihr Junges mitbrachte, und wie das Junge nach anfänglicher Scheu einmal um mich herumlief und
dann wieder auf den Baum verschwand.